Extrem Rechte bei Corona-Protesten nicht unterschätzen

Datum: 15.05.2020

Kategorie: Pressemitteilung

Für das kommende Wochenende sind in Bayern erneut zahlreiche Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie angekündigt. Die Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus warnt davor, den Einfluss von Akteur_innen aus der extremen Rechten zu unterschätzen. Eine strukturelle und finanzielle Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Akteur_innen in ihrem Engagement gegen Rechts ist dringend notwendig.

Die Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus weist auf die Gefahr langfristiger Auswirkungen antidemokratischer, verschwörungsideologischer und antisemitischer Inhalte auf das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben hin. „Es wäre aus unserer Sicht fatal von einem vorübergehenden Protest-Phänomen auszugehen. Vielmehr müssen wir uns dessen bewusst sein, dass Worte hier zu Taten führen. Im Extremfall zu rechtsterroristischen Anschlägen – wie jüngst in Halle und in Hanau. Was wir brauchen sind starke Gegenpositionen“, so Nicola Hieke, Leiterin der Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus (LKS).

In einer Zeit, in der die Handlungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft eingeschränkt sind, stellen die Organisation von Gegenmaßnahmen und deren verantwortungsvolle Durchführung eine sehr große Herausforderung für die Zivilgesellschaft dar. Hinzu kommt, dass viele Bildungseinrichtungen, Trägerorganisationen der Jugendarbeit und Kulturschaffende, deren Beitrag für die Präventionsarbeit enorm wichtig ist, durch die Krise in ihrer Existenz bedroht sind. „Damit verlieren wir womöglich für die Zukunft wichtige gesellschaftliche Korrektive. Es braucht eine kontinuierliche strukturelle und finanzielle Unterstützung zivilgesellschaftlicher Akteur_innen in ihrem Engagement gegen Rechts. Auch die Perspektive der Betroffenen bleibt schon wenige Wochen nach dem Anschlag von Hanau erneut außen vor. Das schwächt den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt massiv“, warnt Nicola Hieke.

Auch die Mitarbeiter_innen der bayernweit tätigen Betroffenenberatung B.U.D. sehen sich in der gegenwärtigen Situation in ihrer Arbeit mit Schwierigkeiten konfrontiert: „Menschen, die sich von den rechtsextremen und antisemitischen Verschwörungsmythen rund um Covid 19 betroffen und bedroht fühlen, leiden besonders unter der aktuellen Situation. Extrem rechte und antisemitische Akteur_innen sind mit ihren Feindbildern omnipräsent in den Medien, den sozialen Netzwerken und im Zuge der Demos jetzt auch auf der Straße. Das macht vielen Menschen Angst, Schutzräume fallen weg und sie sind zum Teil isoliert“, so Jutta Neupert für den Vorstand von B.U.D. e.V. Unter den gegebenen Arbeitsbedingungen ist es für Beratungsorganisationen nicht leicht, Betroffene zu erreichen und zu unterstützen, auch wenn das jetzt besonders wichtig wäre. „Aktuell beraten wir am Telefon und bauen unsere digitalen Angebote aus, um auf den Bedarf zu reagieren.“

Die Gefahren, die von einer derzeit sehr dynamischen Mobilisierung extrem rechter Akteure in ganz Deutschland ausgehen, müssen näher analysiert und ernst genommen werden. Die Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus sieht zudem eine dringende Notwendigkeit im langfristigen Ausbau bestehender Angebote in Bayern zur Aufklärung über Hate-Speech und Verschwörungsideologien. Ein Blick auf die Altersstruktur der sogenannten „Corona-Rebellen“ zeigt deutlich, dass es sich bei den Sympathisant_innen größtenteils um Menschen im Erwachsenenalter handelt. Im Bereich der Bildungsangebote sieht die LKS hier eine deutliche Leerstelle.

Einschätzungen aus den Regionen

Mit Blick auf die Inhalte und das Akteursspektrum lassen sich bayernweit sehr ähnliche Entwicklungen ausmachen. Dies geht aus der Arbeit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, die mit speziell ausgebildeten Berater_innen bei neonazistischen, extrem rechten, rechtspopulistischen und rassistischen Vorfällen Unterstützung bietet, deutlich hervor:

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Büro Nordwest (Mittelfranken, Unterfranken, Oberfranken)

„Im Hinblick auf die sprunghaft wachsende Zahl der Teilnehmer_innen an den Demonstrationen in Nürnberg, sowie einer sehr aufgeheizten Stimmung und aufgrund der Zuordnung von Personen zur extrem rechten Szene bzw. gewaltbereiten Hooligans schätzen wir die kommenden Demonstrationen und auch die allgemeine Lage durchaus als gefährlich ein. Nicht zuletzt, weil auch in Messenger-Diensten wie Telegramgruppen zu radikaleren und geheimeren Aktionen aufgerufen wurde. Darüber hinaus wurden in Nürnberg vermehrt Hakenkreuz-Graffiti und antichinesisch-rassistische Schmierereien festgestellt“, so die Mitarbeiter_innen der Mobilen Beratung. „Auch wenn es wichtig ist legitime Ängste in Zeiten der Krise von extrem rechten Narrativen zu unterscheiden, ist eine bloß äußerliche Beurteilung der Demonstrationen schwierig. Sieht man sich die Narrative und Denkstrukturen an, zeigt sich, wie gerade in Krisenzeiten antisemitische Erklärungsmuster geäußert werden. Wie anschlussfähig antisemitische Ideologien bei sehr vielen Demonstrationsteilnehmer_innen sind, zeigt sich an den antisemitischen Äußerungen, George Soros sei verantwortlich für die Corona-Krise, eben nicht nur von Personen, die der extrem Rechten zuzuordnen sind.“

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Büro Süd (Oberbayern, Schwaben)

„In Oberbayern beteiligten sich neben AfD und JA-Politikern auch Anhänger_innen der Reichsbürgerbewegung, Sympathisant_innen der als rechtsextrem eingestuften Identitären Bewegung und organisierte Neonazis vom Dritten Weg, der rechtsextremen Kleinstpartei ‚Die Rechte‘, Politiker der NPD-Tarnliste ‚Bürgerinitiative Ausländerstopp‘ sowie Protagonist_innen der extrem rechten Hooliganszene und Mitglieder völkischer Burschenschaften. Bei vielen Teilnehmenden sind Anschlüsse an verschwörungstheoretische Narrative zu beobachten, die ursprünglich aus einem US-amerikanischen Alt-Right Spektrum kommen. Dabei werden oft rassistische und antisemitische Feindbilder bedient, was bis hin zu recht eindeutigen Relativierungen der NS-Herrschaft und der Shoah reicht. Die Angriffe richten sich aber auch gegen Vertreter_innen aus Politik, Medien, Wissenschaft, Pharmaindustrie, internationalen Organisationen und NGOs.“

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Büro Nordost (Oberpfalz, Niederbayern):

„Auch in mehreren ostbayerischen Städten finden seit Ende April angemeldete und unangemeldete Versammlungen gegen eine vermeintliche ‚Corona-Diktatur‘ statt, organisiert werde diese maßgeblich über den Messengerdienst Telegram. Die Zusammensetzung der Teilnehmer_innen ist relativ heterogen, ein verbindendes Element scheint das verschwörungsideologische Denken zu sein – es eint beispielsweise Impfgegner_innen, Esoteriker_innen und die extreme Rechte. Leider werden davon auch Personen beeinflusst, die sich primär Sorgen um ihr Sozialleben, ihre wirtschaftliche Existenz oder um Freiheitsrechte machen. Es ist zu hoffen, dass viele davon den Charakter der Proteste noch rechtzeitig erkennen. Denn sowohl online als auch offline können wir gerade beobachten, wie sich Personen binnen kurzer Zeit mit abstrusen und nicht selten antisemitischen Verschwörungsideologien gemein machen und radikalisieren. Es besteht auch die Gefahr, dass sich aus den Protesten Gewalt entwickelt. Zwar ist auf vielen Schildern der Teilnehmer_innen etwas von Frieden und Freiheit zu lesen, gleichzeitig werden jedoch Journalist_innen und teilweise auch die Polizeikräfte aggressiv angegangen. Auch die verbreitete Widerstandsrhetorik ist heikel, wird damit doch das eigene Handeln gegen das vermeintliche ‚Unrechtssystem‘ bin hin zu Gewalt quasi als Notwehr legitimiert.“

 

Kontakt

Alessa Plass
tel 089 / 6933444-11 __ mobil 0151 / 212 212 11 __ presse@lks-bayern.de

Die LKS Bayern gegen Rechtsextremismus ist eine bayernweit tätige Fachstelle. Hauptaufgabe der LKS ist dabei die themenfeldbezogene Koordination von Vernetzung, Information und Beratung. Die LKS bietet aktive Unterstützungs- und Vermittlungsarbeit an. Diese leistet einen wichtigen Beitrag zu einer dauerhaften und nachhaltigen Auseinandersetzung mit den Themenbereichen extreme Rechte, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) und Rassismus in Bayern. Die LKS ist eine Einrichtung des Bayerischen Jugendrings (BJR).

Ein schwarzweiß Foto eines modernen Treppenhauses ohne Menschen im bild.
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